Ende zwanzig oder Anfang dreißig.

Egal wie weit oder wie nah es liegt. Es erreicht dich. Holt dich ein. Versucht etwas mit dir zu machen. Es zeigt dir das wahre Gesicht der Welt in der du lebst. In der du seit Jahren versuchst etwas zu erreichen das du mit dir selbst und deiner Umwelt vereinbaren kannst.

Du versuchst vielleicht einfach deine Ideen und Gedanken in Worte fassen zu können und irgendwie diese an die anderen mitzuteilen ohne vollkommen abgehoben oder verrückt zu wirken.

Vielleicht ziehst du aber einfach ohne genaues Ziel um die Welt und bist verdammt gut darin nicht an die Zukunft zu denken.

Vielleicht hast du aber einen Job gefunden bei dem du dich sicher fühlst, du keine finanziellen Sorgen mehr hast und dich vielleicht auf dem Heimweg einmal zu häufig gefragt hast, wann denn dieser Glücksmoment eintritt von dem alle reden.

Vielleicht hast du die letzten Jahre damit verbracht etwas zu lernen, was dir im Kreise deiner Kollegen zwar sinnvoll erscheint, wenn du aber den Kreis verlässt kann es sein, dass du dich in der Supermarktschlange fragst ob es wirklich richtig ist was du tust.

Es ist das Leben.

Zumindest bis zu dem gewissen Moment in dem man beginnt zu stocken und plötzlich der kleine Kreative, der Rebell, der Freigeist anfängt zu schrumpfen und sich ein anderer Körper bildet.

Ein vernünftiger, abwägender, korrekter, ein Gedanke der nicht fragt sondern antwortet, der nicht sucht sondern vorgibt gefunden zu haben.

Der den alten Gedanken beginnt zu hinterfragen.

Und der Freigeist beginnt sich nicht mehr sicher zu sein. Er ist auf einmal nicht mehr der stabile, bunte Fels in der Brandung der den ständig aufprausenden Wellen der heutigen Zeit die Stirn bietet.

Er will sich fügen und fängt an seine Farbe zu verlieren.

Er beginnt mit dem Strom zu schwimmen.

Beginnt sich langsam auf den Rücken zu drehen und sich treiben zu lassen.

Der Blick geht nach oben und man verliert die Richtung die einen die letzten Jahre angetrieben hat.

Die einen gemacht hat zu dem, wer man heute ist.

 

Word.

„…one thought, one last breath, ein letzter Hauch des warmen Windes und alles wird kalt.“

Die Arme und Beine werden schwerelos. Gedanken hängen vor den Augen wie lange schwarze Schatten.

Geformt in einzelne Buchstaben und Ziffern versuchen sie eine Geschichte zu erzählen. Die letzte Geschichte eines einsamen Lebens.

Der Faden reißt ab.

Worte, gehüllt in einen alten Schleier schießen endlos scheinende Straßen entlang, dem Ziel, gegen eine Wand zu prallen und in winzige Teilchen zu zerfallen entgegen.

In einem Raum wie diesem, existiert aber keine Wand.

Einige fragen sich bereits nach kurzer Zeit worin der Sinn besteht, sich hier mit allen anderen abzuhetzen um am Ende doch nur zu verstauben.

Sie brechen ab.

Andere wollen als Erste ankommen und verausgaben sich zusehends auf der Strecke. Doch schon ein kleiner Fehltritt verursacht eine Kettenreaktion und wirft sie kilometerweit zurück. Den Antrieb von vorne anzufangen finden viele nicht.

Sie geben auf.

Der größte Teil aber, muss den längsten Weg, mit den größten Hindernissen auf sich nehmen. Sie fliegen vor sich her und sind sich gegenseitig im Weg. Die Straße ist einfach zu klein um alle aufzunehmen. Doch warum ist diese beschissene Straße nicht einfach breiter?

Zu viele fallen zurück.

Gibt es nicht einen Verantwortlichen um die Straße breiter zu machen?

Sie verlieren sich, denn es gibt keinen der es machen kann.

Einige tun so, als könnten sie es. Doch es passiert nichts.

Was  kümmert uns diese Minderheit?

Haben wir nicht unzählige Worte zur Verfügung?

Wenn du dabei zusehen musst wie der stärkste Ast des Baumes

welchen du aus Respekt niemals wagtest zu erklimmen,

nur noch im Schatten des Windes weht,

und du nicht rankommst ihn zu stützen,

 

Wenn du in den Augen des Menschen,

welcher dir als Kind das Gute der Welt erzählte,

verlorene Hoffnung und

das Verlangen nach einer alten Liebe erkennst,

 

Wenn eiserne Mauern beginnen zu bröckeln,

und du dich nicht mehr daran erinnern kannst,

wie hoch der Preis war sie zu errichten,

 

Wenn man anfängt sich selbst ernst zu nehmen.

 

Dann,

fängt man an erwachsen zu werden.

no.

Man darf es nicht sagen,

nicht erwähnen,

nicht denken und mit niemandem darüber sprechen,

Man kann es sich nicht vorstellen,

nicht fühlen,

es nicht ausdrücken,

Man sollte es verheimlichen,

abstreiten,

oder gar vergessen und in eine andere Richtung gehen,

Schlägt man den Weg ein,

ist es entweder zu spät oder man hat es noch nicht gemerkt,

Doch niemand weiß,

niemand ahnt,

niemand kennt.

Augenblick

… die Augen sind trüb,

der Blick fragt,

zweifelt,

ahnt,

Er spricht,

denkt und antwortet,

dann wartet er,

bleibt stehen,

Der Blick verliert,

gewinnt,

erkennt,

akzeptiert,

Er sendet und empfängt,

sucht,

wartet,

findet,

Leuchtende Leere,

er scheint,

jetzt aber müde,

Hat gesehen,

beginnt aber zu vergessen,

im Schein will er allein sein,

Augen fallen zu,

Dunkelheit,

Aus.

Es war einmal eine Reise. Dann war da eine andere Reise der eine Reise folgte. Die Reisen machte ein Reisender der es liebte zu reisen, denn wenn man auf Reisen ist, lebt man ein anderes Leben, eine andere Art des Lebens, man hat seine Grenzen versetzt, man sieht keine Grenzen, denn man ist über zu viele Grenzen gegangen um sie zu erkennen, sie als Hindernis zu sehen. Und die Grenzen des Lebens verschwinden langsam im Schein des Reisens. Das echte Leben beginnt sich langsam in immer weniger werdende Kleinteile aufzulösen. Man beginnt sich auf das Wesentliche zu konzentrieren, das Wichtige zu erkennen. Ein Leben zu bestreiten in dem man sein kann wie man sein will. Sein eigener Herr zu sein, sich selbst und anderen treu sein zu wollen. Der Mittelpunkt liegt jetzt im Wesentlichen, im Leben an sich, abgeschottet von Einflüssen aus gesellschaftlichem, bürgerlichem Sein. Das bisherige Leben fängt an sich in Einzelteile zu zerlegen und man fängt an sich zu fragen warum man die Zeit, welche man mit unwichtigen Dingen verbracht hat, nicht anders gestalten konnte. Warum man nicht schon immer sein eigenes Leben gelebt hat. Eine Strandbar, in einem südlichen Land wie Indien oder Thailand. Ein kleines Haus in Norwegen mit einem Steg der soweit in den Fjord hineinreicht, das man sich schwer tut bei Nebel das Land zu sehen.

Die Antwort ist, man verliert seine Träume zu schnell im regen Treiben des alltäglichen Lebens, der Bedürfnisse eines Menschen nach Liebe, nach Zuneigung, nach Sicherheit. Nach Absicherung, nach einer unkomplizierten Art zu leben.

Doch was bitte frage ich mich, ist Sicherheit im Vergleich zum Erreichen eines Traumes, eines Gedankens den man in den schönsten Stunden seines Lebens mit Blick auf die endlosen Weite der Welt hatte?

No beginning, no end 

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Die sagenumwobene, uralte und anmutig wirkende Medina, die „Altstadt Marrakeschs“ lag vor uns, wir hatten 6:30 Uhr und die Sonne erweckte so langsam die Gassen. Doch bisher war weit und breit keine Spur des regen Treibens, keine nie endende Schlangenbeschwörer Flöte, keine Trommeln, keine Marktschreier, kein gar nichts. Ab und zu gab es eine Toilettenspülung in der Wand zu hören, sonst war es still. Der Taxifahrer hat uns auf der Fahrt erklärt, das der „Djamaa el Fna“, der Mittelpunkt der Medina, früher kein Vergnügungsplatz, sondern der Vollstreckung derjenigen diente, die zum Tode verurteilt waren. Ihre Köpfe wurden auf Pfähle gespießt und standen dann solange in der Sonne bis sie eben verfault waren. Dann kamen neue. Der Platz der Gehängten. Ich zündete mir eine Zigarette an, bestellte einen Tee und sah mir das Geschehen an. Guten Morgen Marrakesh. Es gibt zu dieser Stadt einiges zu sagen, aber erwähnen sollte man, dass sie die Hochburg Marokkos für die Touristen ist. Denken kann man sich dann den anderen Teil. Jeden Tag, keine Ruhepause, kein Feiertag, ist hier was geboten. Die schon oben erwähnten Schlangenbeschwörer oder Trommler sind nur die Spitze des Eisbergs der Darbietungen, welche einen hier Tag für Tag erwarten. Orientalische Musik ertönt sowieso überall, etliche Gruppen stehen herum und spielen auf den unwahrscheinlichsten Instrumenten ihre Rhythmen, man hört sich schon bald gar nicht mehr, vermisst sie aber, wenn sie in der Nacht nicht mehr in der Luft schweben. Die Souks, Verkaufsstraßen oder Basare in der Umgangssprache genannt, erstrecken sich in nördlicher Richtung und bieten alles an was sich verkaufen lässt. Wirklich alles. Von algerischen Tuchwaren über Schildkröten bis hin zu Zigaretten und grünen Tomaten. Und wenn man nachfragt, ist der Rest auch zu beschaffen. No Problem. Für mich war eines meiner persönlichen Highlights das direkt nach dem Aufstehen, mit einer Frühstückszigarette über den Platz zu laufen um neues Wasser zu besorgen. Natürlich am anderen Ende und natürlich an einen Kiosk. Man ist noch gedanklich auf dem weichen Kissen, läuft aber über den wahrscheinlich berühmtesten Platz für Unterhaltung. Herrlich. Wasser aufzutreiben ist kein Problem, jeder Kiosk hat Wasser. Und Shampoo und Zigaretten und Schokolade und Shampoo und so ziemlich jeder Kiosk hat Taschentücher. Einen Berg an Taschentüchern. Meist sogar ausgelegt in einem separaten Abteil. Ich hab vor einiger Zeit mal gelesen das Marokkaner das Sperma des Mannes in Taschentüchern „einfangen“ um diese für etwaige Fruchtbarkeitsgebete zu nutzen. Wenn man aber dann wiederum die Menge der Taschentücher beachtet ist es nur wahrscheinlich, das die sogenannte Erkältung auch eine gewisse Rolle spielen könnte. Aber wie bekommt man eine Erkältung wenn es so gut wie nicht regnet? Und sowieso gibt es niemanden, der hier seine Nase schnäuzt. Diese und weitere Fragen stelle ich mir, während der Tag an mir vorbeibraust und im von Nebelschwaden eingehüllten Trommelwirbel untergeht. Man hat hier genug Zeit sich solche Gedanken zu machen, denn morgen beginnt alles wieder von vorne.

Desert Fox, mon ami

Wir haben unsere Namen in ein Handy getippt und sind mit dem Urvertrauen losgefahren am nächsten Morgen um 5 Uhr einen Ismail anzutreffen der auf uns wartet, uns unsere Namen auf seinem Handy zeigt und wir zusammen zum Hotel fahren. Alles war wie geplant, nur wie reagiert man wenn nicht Ismail, sondern ein kleiner dicker Fahrer auf einen wartet, der ein bisschen danach aussieht, als hätte er sein Gewissen mit einmal in die Oase hüpfen wieder rein gewaschen. Die Antwort ist gar nicht. Ich habe einfach versucht mich damit zufrieden zu stellen, zu viele falsche Filme gesehen und Bücher gelesen zu haben. Und wenn schon, die algerische Mafia macht bestimmt kurzen Prozess mit unschuldigen Touristen. Und Menschenhandel macht hier meiner Meinung nach sowieso keinen Sinn. Gedankenversunken und angespannt saß ich also hinter dem Fahrer mit dem runden Bauch und malte mir alle möglichen Überwältigungsvorgänge aus. Sollte am Horizont ein schwarzer Geländewagen auftauchen vor dem drei Männer stehen und in unsere Richtung blicken, werde ich kurzen Prozess machen. Man beachte, ohne Schlaf, ohne Frühstück, voll mit Nikotin und nur bewaffnet mit den Worten des Geschichtenerzählers vor dem Café in Fés. Erschwerend kam dann noch die Tatsache hinzu, dass das Straßenschild anzeigte, wollte man in unseren Zielort Merzouga ankommen, sollte man doch bitte der Straße folgen. Unser Fahrer war da aber anderer Meinung, verlangsamte das Tempo und fuhr durch den Straßengraben in Richtung nirgendwo. Ich fragte ihn also, warum wir das hier gerade machten, von der Straße abfahren, obwohl da doch unser Zielort auf dem Schild stand. Er begann nur kurz zu lachen und meinte dann „no english“. Mein Herzschlag zeigte sich jetzt auf der Oberfläche meines T-Shirts. Ich sah zu meiner Freundin, die neben mir saß und gerade ihre Nase schnäuzte. Sie hatte die Grippe. Meine Lippen formten die Worte „Was zur Hölle machen wir jetzt?!!“, sie aber sah mich an, zuckte mit den Schultern und meinte, das schon alles gut werden wird, nahm ein neues Taschentuch und schnäuzte erneut.

Und tatsächlich. Ich habe auf dieser Autofahrt zwar nicht mein, meiner Meinung nach, gesundes Misstrauen gegenüber so ziemlich jedem Fremden, der dich irgendwohin bringen will verloren, aber ein kleines bisschen wurde mein Urvertrauen in die Menschheit gestärkt. Und es tut gut zu spüren, das es ein solches tatsächlich gibt.

Arroganz

Ich stehe jetzt schon eine geraume Zeit hier am Fenster,

sehe nach draußen,

mein gesamter Körper ist so auf dem Fensterbrett abgelegt,

dass ich hier ewig stehen könnte.

Es ist ein ziemliches Spektakel.

Menschen die singen, lachen, laufen.

Doch alle sind mit dem Blick derart auf den Boden gerichtet,

das man meint die Kopfhörer in ihren Ohren zwingen sie dazu.

Vielleicht sind sie mit ihren Gedanken auch schon am Ziel ihres Weges.

Wohin gehen sie und was haben sie alle für ein Leben?

Sind sie glücklich oder rennen sie vor irgendetwas davon.

Sind sie gut oder böse.

Das alles wird man nie herausfinden,

wenn man wie ich hier oben am Fenster steht und beobachtet.

Ich versuche mich in manche hineinzuversetzen.

In die Interessanten.

Diejenigen, die brennen können.

Aber wie will ich eigentlich rausfinden wer einer davon ist?

Von hier oben.

Versuchen kann man es an der Art wie sie sich darstellen.

Wie sie sich nach außen hingeben.

Lachen sie?

Freuen sie sich auf ihr Ziel?

Bei manchen kann man es erkennen.

Manche laufen aber nur,

lachen nicht.

Wirken ernst.

Doch auch sie könnten sich freuen.

Man wird es so nie herausfinden.

Von hier oben.

Schade eigentlich.

Everything is possible in India

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„May I ask you a question, please.“

Sein Blick verriet mir, es war eigentlich keine Frage die er mir stellen wollte, es war eine Aussage, er hatte sie nur als Frage formuliert. Eine bittere, trostlose, wahre und vor allem berechtigte Frage.

„Why are you here? In a country like this. Everywhere poor people and dirt. What leads you to come here and travel around? Nothing to see, the good times  are over. For long time.“

Wie gesagt, eine berechtigte Frage, keine Frage.

Ich sah ihn an, er sah mich zurück an. Ein Hund bellte aus weiter Ferne. Eigentlich hätte der klassische Strohballen vorbei wehen müssen um der Situation die Krone aufzusetzen. Keiner verzog auch nur eine Miene. Dann fingen wir beide an zu lachen. Warum? Kann ich heute nicht mehr genau sagen, wahrscheinlich war es die ironische Idiotie der Frage an sich oder vielleicht hatte ein indischer Zauberer um die Ecke einen Lachzauber an uns versucht. Vielleicht aber war der Mann, der mir diese Frage stellte, um halb zehn Uhr abends, an einem Bahnhof in Nord-Indien, einfach nur ein Yoga-Lehrer und musste sein tägliches Pensum an Lachen erfüllen. Everything is possible in India. Die großen Werbebanner flankierten an sämtlichen Straßen und Gehwegen. Und es stimmt, alles ist möglich. Man braucht nur das nötige Kleingeld für dieses all umwobene Alles. Und wie sich herausstellte war der gute Mann, kein Yogalehrer oder irgendetwas der gleichen, er war komischerweise ein Sohn eines reichen und mächtigen Mannes, der in einem Palast wohnt, irgendwo im Süden. Natürlich kann man als Pessimist oder Zyniker jetzt sagen, er wird es nur erzählt haben um sich interessant zu machen, mit anderen Menschen in Kontakt zu kommen und sich hervorzuheben, und in diesem Fall gebe ich den pessimistischen Zynikern sogar Recht dabei. Es war sein Vorhaben mit anderen Menschen, Inder ausgeschlossen, in Kontakt zu kommen. Und diese Frage war für ihn der Einstieg in sämtliche Gespräche mit verschiedensten Daseinsformen der menschlichen Art. Inder ausgeschlossen. Er selbst war Inder, er war sein bisheriges Leben in Indien ansässig und konnte seinen Worten nach zu urteilen die indische Bevölkerung absolut nicht ausstehen. Es waren Heuchler, Diebe, Unmenschen die nur das Geld und ihren eigenen Glauben lobten. Obgleich es die eine Seite der Inder war den Touristen das Geld aus der Tasche zu ziehen und irgendwie versuchen zu überleben, war die andere Seite die, welche die Armen nicht ausstehen konnte. Diese wiederum suchten nicht das Geld aus fremden Taschen, sie suchen die Nähe zur Welt, zu den Reisenden, zur Geschichte, einer anderen Form des Lebens oder einfach nur zu irgendwem der mit ihnen Englisch sprach. Ausnahmen bestätigen die Regel.

Mittlerweile waren wir auch über die ausgeschweiften Hass-Predigten gegenüber seinen Mitmenschen fertig und konnten von den schönen Dingen des Lebens sprechen, unter anderem waren das Genussmittel, welche den Stunden im Leben das Sahnehäubchen aufsetzte. Er erzählte mir von seinen Erfahrungen mit Frauen und seinen Alkoholexzessen, davon wie schlecht diese indischen Zigaretten für den Körper waren und worin der Sinn bestand mit mehreren als nur mit einer Frau zu schlafen. Inder sind, sofern sie es sich leisten können, absolute Lebemenschen und lassen nichts aus um ihrem Leben die Farbe Gold zu verabreichen. In diesem Punkt können wir Deutsche, wenn wir an einem verregneten, einsamen und tristen Montag zu Hause sitzen und nicht wissen was wir mit unserer Zeit anfangen sollen, wirklich noch einiges abschauen. Lebensgefühl, das Gefühl Glücklich zu sein und sich nicht mit Waren zu überhäufen um es zu erreichen. Das können sie die Inder, auch wenn sie noch so arm dran sind und jeden Tag versuchen heute mal nicht hungrig einschlafen zu müssen. Man kann es in manchen Gesichtern sehen und wenn man genau hinhört, auch in ihrem Lachen.

Nichts desto trotz hatte auch diese Unterhaltung ein Ende und mir nichts dir nichts war er in einer ankommenden Menschenmenge verschwunden. Zum Abschied hat er mir noch eine Zigarette abgenommen, wahrscheinlich um nicht mit leeren Händen davon ziehen zu müssen. Ich drücke meine Zigarette an einem Geländer aus und sah auf meine Uhr. Es war mittlerweile 22:32 Uhr. Der Zug hätte um 21:30 Uhr, plangemäß ankommen sollen. Ein „Super-Fast-Express“ an den Rand des Himalaya Gebirges. Fahrtzeit 9,5 Stunden. Um nicht die Tageszeit einer begrenzten Reise zu verlieren haben wir einen Nachtzug gebucht. Dafür sind diese ja schließlich da, dachte ich. Als ich zurück zu meinen beiden Reisegefährten kam und diese es sich schon gemütlich gemacht hatten, dachte ich nicht daran wann der Zug wohl endlich ankommen würde. Ich dachte auch die nächste Stunde nicht daran und war bester Laune, als wir ein dänisches Pärchen ansprachen doch ein bisschen mit uns Karten zu spielen. Die Frage auf welchem Gleis der Zug ankommen würde, war nach der Meinung sämtlicher Bahnhofsbeamten nicht sicher zu klären. Es gab schätzungsweise 18 Gleise und unser Zug musste zwischen Gleis 1 und Gleis 7 ankommen. Vielen Dank auch. Everything is possible in India. Insgeheim rechnete ich damit, dass der Zug auf Gleis 19 ankam und ohne auch nur einen Laut von sich zu geben davon fahren würde. Wir positionierten uns so, dass jeder von uns die seinen Teil der Gleise im Auge behalten konnte. Als es Mitternacht wurde, war der Bahnhof auf einmal wie leergefegt. Wir saßen Rücken an Rücken um einen Laternenpfahl auf dem Boden und versuchten auszumachen wo und wann der Zug ankam. Im Grunde war es still. Vereinzelte Hupkonzerte aus dem angrenzenden Stadtviertel brachte der Wind, wenn er denn mal vorbeikam, gleich mit und hatte auch immer eine gehörige Portion Uringeruch im Gepäck. Indien wie es leibt und lebt. Die Hoffung das der Zug tatsächlich in nächster Zeit ankommen würde war nicht mehr so groß und grün wie am Anfang, die Farbe begann zu verblassen und wurde langsam zu einem gelblichen Schimmer am Horizont. Ab und an, wenn ein Körperteil eingeschlafen war, stand einer von uns auf und ging über eine Fußgängerbrücke, welche die einzelnen Gleise miteinander verband, hinüber zur Empfangshalle des Bahnhofes. Meine letzte Runde war um kurz vor elf gewesen, ich habe versucht mir durch Fragen unterschiedlichster Beamter ein Bild von der Situation zu machen. Immerhin waren es mittlerweile an die fünf Stunden Verspätung und wir waren die Deutsche Bahn gewöhnt. Gut, nicht die Beste in Sachen Pünktlichkeit, aber nehmen wir mal an die Deutsche Bahn würde sich um fünf Stunden verspäten. Man dürfe wahrscheinlich das Bordrestaurant plündern und bekäme einen Schlafwagen gratis mit dazu. Bloß kein Beschwerdebrief. Ein solcher Brief in Indien wäre so gut wie eine verstopfte Toilette der deutschen Botschaft in Myanmar. Es würde niemanden interessieren, weil niemand da wäre den es interessieren würde.

Niemand konnte mir genau sagen wann oder wenigstens wo der Zug ankommen würde. Die Ankunftstafel war hinter einem glasigen Schalterfenster durch das man gerade noch hindurch schauen konnte und dahinter standen etwa zehn Beamte und sahen die an, welche es wagten etwas zu fragen. Vor mir war eine Schlange von etwa acht Leuten, allesamt Landesleute, einige mit Kindern auf dem Arm, einige mit, andere ohne Gepäck. Ein paar von ihnen standen bestimmt auch nur da um sich einen festen Platz zu sichern, niemand ging an den Schalter. Der Fußboden der Bahnhofshalle war übersät mit ausgelegten Decken und Taschen, auf denen Männer, Frauen und Kinder schliefen. Wenn man dort hindurch wollte, musste man in Kauf nehmen, mindestens fünf Menschen auf herumliegende Körperteile zu treten, es gab keinen Durchgang. Trotz allem aber, herrschte auf dem gesamten Bahnhofsvorplatz ein reger Verkehr. Rikschas hupten an und lieferten Menschen ab oder luden welche auf, Taxis bahnten sich den Weg durch die verschiedensten Blechlawinen, Motorräder, Fahrräder oder Kutschen, alles war vorhanden, alles war wie immer. Nur unser Zug nicht, dachte ich zumindest. Aber irgendwie war es die Tatsache, dass sich niemand so wirklich darum scherte wann der Zug ankommen würde und das machte mich nachdenklich. Warum waren die Leute hier und warum konnten sie seelenruhig schlafen, während ihr Zug eintrudeln könnte? Es war mir ein Rätsel.

Hinter dem Schalter stand eine Tafel auf der diffuse Namen von Zügen notiert waren, bei dem Super-Fast-Express nach Darjeeling stand eine dicke „5“, also fragte ich ob es die Zeit der Verspätung war oder die Uhrzeit, wann der Zug ankommen sollte. Mir wurde dann gebeichtet, dass es sich hierbei um die Uhrzeit handle, wann der Zug eintreffen würde. Ich bedankte mich und trottete zurück um die Neuigkeiten loszuwerden. Sie wurden mit einer optimistischen Darbietung einer Suche nach dem Schlaflager beantwortet und schon war alles wieder in Ordnung. Dachten wir zumindest. Der Grund, warum alle Menschen innerhalb der Halle waren und es in Kauf nahmen sich auf engstem Raum zusammen auf den dreckigen Fußboden zu legen, wurde mir klar, als ich die Augen schloss. Sie mussten es riechen. Moskitos. Soweit das Auge reichte. Und nicht nur etwa hundert von ihnen, da könnte man wenigstens nach einer blutigen Schlacht eine Aussicht auf Besserung haben, nein, es waren Milliarden. Und sie bissen sich durch alles was nicht aus Leder war.

Die Kurzfassung der nächsten Stunden, in denen nicht viel passierte außer dem unablässigen Morden Millionen von Moskitos und dem Versuch ein Auge zu zu bekommen war, dass wir schließlich 18,5 Stunden auf den Zug warten mussten und anschließend beinahe unseren Zielort verschlafen hätten.

Everything is possible in India.